Embodiment Diskurs

18.04.2019

 

Dem Körper und der Körperlichkeit gebühre viel mehr Aufmerksamkeit in der ambulanten Psychotherapie! Diesen kritischen Diskurs eröffneten zwei renommierte Psychologen: "Wir wollen mit Embodiment ausdrücken, dass Psychologie im Bewusstsein betrieben werden sollte, dass die Psyche immer in einem Körper eingebettet ist. Erst vor diesem Hintergrund wird nach unserer Überzeugung eine vollständige Theorie der Psychologie möglich."  (Dr. phil. W. Tschacher und Dr. phil. M. Storch,  Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog, S. 163)

 

 

Wissenschaftliche Kritik an den Richtlinienverfahren

 

Die beiden Psychologen Tschacher (Psychotherapieforscher) und Storch machten schon 2010 auf einen eklatanten Mangel der konventionellen Psychotherapieverfahren (d.h. den Richtlinienverfahren) aufmerksam. In der Psychoanalyse liege die Aufmerksamkeit deutlich auf dem verbalen Ausdruck, den kognitiven Deutungen, Inhalten und Symbolen im Rahmen der >Redekur< Freuds. In der Verhaltenstherapie verhalte sich dies ebenso, da ginge es hauptsächlich um >beliefs<, um kognitive Einschätzungen und Konstrukte. Die Körperlichkeit der Patienten bliebe "in den Therapiesitzungen nur noch eine Randbedingung im sokratischen Dialog", heißt es da (Dr. phil. W. Tschacher und Dr. phil. M. Storch, Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog, S. 162).

 

"Wir konnten feststellen, dass Fortschritt keine geradlinige Angelegenheit ist, schon gar nicht in der Psychotherapie. Wirklicher Fortschritt würde für uns bedeuten, die anerkannten und wissenschaftlich wohluntersuchten Therapieverfahren um solche Komponenten zu erweitern und zu berücksichtigen. [...] In unseren Augen besteht hier ein Mangel, der beiden Seiten und damit dem gesamten Unternehmen >Psychotherapie< schadet." (Dr. phil. W. Tschacher und Dr. phil. M. Storch, Körperzentrierte Psychotherapie im Dialog, S. 173, 174)

 

Die Autoren plädierten für mehr Forschung und einheitliche Bezeichnungen in den Theorien der Psychotherapieverfahren. Den Somatics (Körpertherapeuten) warfen sie unklare Konzepte vor. 2017 veröffentlichten sie ihre aktuellen Forschungsergebnisse zu Embodiment in einem gleichnamigen Buch. Und ich freue mich, in einem nachfolgenden Artikel für Sie genauer darauf einzugehen.

 

Begriffserklärung und Relevanz

 

Der Begriff Embodiment ist nicht eindeutig definiert und könnte am ehesten mit Verkörperung wiedergegeben werden. In der Wissenschaftssprache etabliert er sich in diesem Sinne und sollte thematisch nicht mit Körpersprache verwechselt werden. Es geht darum, dass Kognitionswissenschaftler immer mehr Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Erfahrungsverarbeitung generell an Körperlichkeit gekoppelt und dem Menschen in vielfältiger Weise auch anzusehen ist. Ausgerechnet die Forschung für Künstliche Intelligenz macht Humanwissenschaftler auf die Bedingung von Körperlichkeit aufmerksam. Denn gerade in der Künstlichen Intelligenz wurde festgestellt, dass es keine verstehende Intelligenz (bzw. Weisheit) ohne Körper geben kann (Tschacher 2017). Während die Körpertherapeuten häufig von einem Unterbewusstsein im Körper sprechen, meint Storch, dass es bei Embodiment mehr um ein kinästhetisches Gedächtnis, als um ein explizites Körpergedächtnis gehen soll.

 

In der konventionellen Psychotherapie überließ man jedenfalls den Körperbezug jahrzehntelang den Körpertherapeuten, erst jetzt dämmert hier die Einsicht, dass ihr damit ein wesentlicher Baustein in der Behandlung fehlt! "Embodiment ist mit wichtigen Variablen des Therapieprozesses und des Therapieerfolges korreliert", mahnt Storch. (http://www.majastorch.de/download/artikel/2012_Tschacher-Storch.pdf)

 

Psychotherapie gespalten in sich?

 

In der Psychosomatik geht es schon ganzheitlicher zu. Denn in der stationären Psychotherapie sind Körpertherapeuten immer integriert, und der psychosomatische Behandlungserfolg wäre ohne sie undenkbar. Doch weist die Spezialisierung in Körper- und Geisteszuständigkeiten auch hier auf ein Spaltung hin. Die Körpertherapeuten können in den Kliniken hohes Ansehen genießen, während sie in der ambulanten Therapie nur mit einer Zulassung unter dem Heilpraktiker-Gesetz psychotherapeutisch arbeiten dürfen und damit auf den zweiten Gesundheitsmarkt verwiesen werden. Die Kosten für eine Körpertherapie werden von Krankenkassen in Deutschland ebenso wenig erstattet, wie Behandlungen mit humanistischen und systemischen Psychotherapieansätzen, obwohl es vielfältig wissenschaftliche Wirknachweise für sie gäbe.

 

Auch die sogenannte Integrative Therapie wird nur in Österreich staatlich anerkannt. In den 60iger Jahren wurde sie von Hilarion G. Petzold gemeinsam mit der Körpertherapeutin Johanna Sieper als erstes Modell dieser Art gegründet. Die Integrative Therapie vereint kognitive, tiefenpsychologische und körpertherapeutische Ansätze für eine ambulante Psychotherapie. Doch anders als in der Psychosomatik, wo auch "unwissenschaftliche Körper-Methoden" (wie Qi Gong, Atemtherapie, Thai Chi, etc.) im Kliniksetting problemlos integriert werden, betont Petzold konsequent die Notwendigkeit wissenschaftlich eindeutiger Konzepte. Aus seiner wissenschaftsorientierten Perspektive ist es verständlich, wenn er sagt, dass sich ein Muskel nicht erinnern könne. Und bezogen auf Körpertherapien, die sich theoretisch oft (wie viele ganzheitlich alternative Heilverfahren auch) auf Energie-Erklärungen beziehen, sagt Petzold, dass Psychobiologische Orgonenergie, Lebensenergie, Quantum-Kräfte und Schamanen-Leib keine Konzepte seien, mit denen sich klinische Therapieverfahren in einem wissenschaftlichen Verständnis für die Arbeit mit Patienten fundieren ließen (H.G. Petzold 2012, in Menschenbilder in der Psychotherapie, S. 303).

 

Hintergründe für die Spaltung in der Psychotherapie betrachtet Petzold dann aber erhellend pragmatisch: "Entwicklungen zu energetischen Phänomenen durch die medizinische und biologische Grundlagenforschung sind in vielfältigen Bereichen im Gange. Da muss man offen sein. Und die Ansätze von Außenseitern im Bereich alternativer Therapien mit Energiemethoden müssen jeweils mit sorgfältiger Aufmerksamkeit betrachtet werden. [Wilhelm] Reich hätte mit seinen körpertherapeutischen Versuchen mehr Offenheit und mehr Unterstützung verdient. Er wurde [von Freud damals] blockiert, und damit wurden und werden auch - bis heute - die Möglichkeiten für Patienten blockiert, reguläre leib-, körper- und bewegungspsychotherapeutische Behandlungen als Kassenleistung zu erhalten." (H.G. Petzold, Die Menschenbilder in der Psychotherapie, S. 303) So viel Offenheit und Respekt gegenüber körper- und alternativtherapeutischen Verfahren bezeugten die richtungsweisenden Äußerungen von Tschacher und Storch noch nicht: "Falls es zudem im körpertherapeutischen Diskurs heute noch Konzepte gibt, die sich wie Chi-Flüsse, Meridiane und Orgonenergie vollständig gegen Untersuchung immunisieren sollten, würden wir klar gegen solche Konzepte plädieren!" (S. 174, 175, auch online unter http://www.majastorch.de/download/1106_Embodiment-Koerpertherapie.pdf).

 

Die Perspektive der Körper- und ganzheitlichen Psychotherapie

 

Der Diskurs Embodiment rüttelt nicht nur am Menschen-, Körper- und Weltbild, am Leib-Seele-Problem des abendländischen Denkens. Die Somatics wiesen schon früh auf den konkret reduktionistischen Aspekt hin: dass sich nämlich wissenschaftliche Forschung meist nur auf fünf Sinne der Wahrnehmung bezieht: Tasten, Schmecken, Riechen, Hören und Sehen. Bonnie Bainbridge Cohen (Körpertherapeutin) drückt es nachvollziehbar aus: "Ich finde es aufschlussreich und zugegebenermaßen auch frustrierend, dass das Bewegungsempfinden und die viszerale Aktivität von dieser Gruppe der Hauptsinne ausgeschlossen sind. Da Wissenschaft immer die sozio-politischen oder religiösen Ideen ihrer Zeit widerspiegeln, ist es nur natürlich, dass sich die historische Unterdrückung des körperlichen Empfindens in der westlichen Kultur in Form einer wissenschaftlichen Tatsache niedergeschlagen hat. Innerhalb dieser Sichtweise wird ein Phänomen in der Regel nur dann als >objektiv wissenschaftliche Tatsache< anerkannt, wenn es von allen körperlichen Empfindungen bereinigt werden kann. Es muss rein akustisch oder visuell messbar sein. Wenn das Ermessen von der körperlichen Empfindung abhängt, dann wird es als >subjektiv< und >nicht wissenschaftlich< erachtet. Die Erfahrung von Bewegung wird nicht als >wissenschaftliche Studie< erachtet." (Bonnie Bainbridge Cohen, Klassiker der Körperwahrnehmung, S. 234, 235, Hg. D.H. Johnson, T. Rytz)

 

In meiner Praxis ist Ganzheitlichkeit in der Psychotherapie keine Plattitüde! Sie ist Kernkonzept und Embodiment wird auf vielfältige Weise bewusst integriert. Über Aspekte von Embodiment und Ganzheitlichkeit in meiner Praxis informieren viele meiner Artikel, z.B.:

 

 

Und demnächst erscheinen auf meiner Homepage unter Aktuelles weitere Artikel zu diesem wichtigen Thema:

 

  • "Ressourcen"
  • "Embodiment mit allen Sinnen"
  • "Das Satir-Model"
  • "Liebe zur Weisheit"
  • "Menschenbild in der Psychotherapie"