Psychotherapie ganzheitlich

17.09.2017
Vorschaubild zur Meldung: Psychotherapie ganzheitlich

 

... Die therapeutische Haltung von Virginia Satir lernte ich während meiner NLP-Ausbildung kennen. Ihr Bild vom Menschen und der Welt, ihre Ansichten über die Entstehung und Behandlung von psychischen Störungen entsprechen meinem Verständnis von ganzheitlicher Psychotherapie, daher möchte ich zur Betrachtung dieses Themas beispielhaft auf sie eingehen. 

 

Eine ganzheitliche Therapie zeigt sich bereits in der Gestaltung der therapeutischen Begegnung mit dem Patienten auf Augenhöhe anstatt eines hierarchischen Settings. Im Therapiegespräch zählt nicht nur das Gesprochene, auch die nonverbale Kommunikation ist wichtig. So auch im NLP (Neurolinguistisches Programmieren): die Einbeziehung des Körpers spielt keine untergeordnete Rolle mehr. Und schließlich soll auch der Aspekt Spiritualität integriert sein, denn ... ", letzten Endes gründet Satirs Können [...] jenseits bloßer Technik in einer spirituellen Sicht auf das Leben", heißt es bei Wolfgang Walker in "Abenteuer Kommunikation", (S.170). Und damit ist nichts anders gemeint als die innere Haltung der Therapeutin selbst, die eine ganzheitliche Therapie anbietet.

 

Was bedeutet nun die Einbeziehung von Spiritualität genau? "Eine der Tragödien des modernen Menschen sah Virginia Satir darin, dass wissenschaftliche Forschungen in der Regel die seelische-geistige Dimension des Lebens ignorieren: Positivistische Wissenschaft kennt keine Begriffe wie Sinn, Selbstwert, Wachstum, Verbundenheit oder Liebe. Doch gerade diese Dimension verleihen dem menschlichen Leben und Sterben aus ihrer Sicht erst seine Würde. [...] In der Rückverbindung des einzelnen an die universelle Kraft des Lebens sah Virginia Satir eine grundlegende Herausforderung der psychotherapeutischen Arbeit." (Walker in "Abenteuer Kommunikation", S.171, 172)

 

Die Amerikanerin Virginia Satir (26.06.1916 bis 10.09.1988) gilt als Wegbereiterin der modernen Familien- und Systemtherapie. Als sie in den 50iger Jahren nach einer psychoanalytischen Ausbildung in Chicago eine Praxis eröffnete, war ihr der Zugang zur normalen Klientel der Psychiater versperrt, weil sie nur Sozialarbeiterin und keine Medizinerin war. So musste sie damals zunächst schutzlos arbeiten und erhielt Klienten, die abgeschoben und von den analytischen Psychiatern nicht weiter behandelt wurden, wie Obdachlose, Alkoholiker, schwer geschädigte Kinder und schizophrene Menschen.

 

Bei ihrer erfolgreichen Arbeit begann sie mehr und mehr das Setting der Einzeltherapie zu erweitern und auch Angehörige mit einzubeziehen. Sie entwickelte neue therapeutische Interventionen für die Einzelbehandlung und für die Gruppe wie z.B. die sog. Familienskulptur. Satir machte intuitiv Entdeckungen von Kommunikationsmustern, die im Familiensystem krankmachend wirken und entwickelte dabei eine Fragentechnik, die heilende Veränderung hervorrufen konnte. Ihre Kunst zu kommunizieren wurde später von den Gründern des NLP Richard Bandler (einem Psychologen) und John Grinder (einem Linguisten) genau erforscht. Viele ihrer "Techniken" wurden im NLP integriert und weiterentwickelt. Zeitgleich erforschte der berühmte Anthropologe Gregory Bateson kybernetische Strukturen menschlicher Kommunikation und bestätigte zahlreiche Beobachtungen Satirs.

 

Der Erfolg Satirs Lehr- und Therapietätigkeit beruhte auf viel Talent und einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Doch vor allem ihre innere Haltung unterschied sich deutlich von der bis dahin üblichen psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Sichtweise auf Menschen. In der Psychoanalyse wurde die Abgrenzung zum Patienten sehr betont und die therapeutische Beziehung immer streng "abstinent" gestaltet. Dies bedeutet, dass der Therapeut sich nur in seiner Rolle als Facharzt und nicht als ganze Person in den Kontakt einbringen darf. Das ist übrigens auch heute noch so. Damals war sogar der Kontakt zu Angehörigen noch strengstens untersagt. Für Satir dagegen spielte - ebenso wie es bei der sog. Gesprächstherapie nach Carl R. Roger bedeutsam ist - Kongruenz eine wesentliche Rolle bei der therapeutischen Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Das bedeutet Authentizität in der Begegnung von Therapeut und Patient. Michele Baldwin, eine Freundin schrieb im gemeinsamen Buch "Familientherapie in Aktion; Die Konzepte von Virginia Satir", (S. 136):

 

"Nicht immer sind die Menschen mit ihrer Lebenskraft in Kontakt. Viele schenken ihrem inneren Reichtum keine Aufmerksamkeit und brauchen Hilfe, um den Zugang dazu zu finden. Oft ist die einzige Schönheit eines Menschen tief vergraben, und es braucht Geduld und Mühe, zu ihr vorzudringen, aber sie ist immer vorhanden. Diese Überzeugung von der Einzigartigkeit und Schönheit jedes einzelnen Menschen hat den Charakter der psychotherapeutischen Beziehung verändert. Die Hierarchie von 'Ich (Experte) - du (eine Person mit einem Problem, die meine Hilfe braucht)', zwischen Therapeut und Klient wird zu einer Ich- Du-Beziehung, und diese menschliche Verbindung hilft dem Klienten mit seiner Lebenskraft in Berührung zu kommen."

 

Fazit: Wenn der Therapeut selbst in Berührung mit der eigenen spirituellen Dimension ist, so wird es ihm gelingen, den Patienten zu erreichen. Die Erfahrung eines Kontaktes, der auf Wertschätzung, Vertrauen und Offenheit beruht, kann dann für den Klienten zum Modell für andere Beziehungen und v.a. für die Beziehung zu sich selbst werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Neurobiologie und Epigenetik (zusammengefasst auch in der sog. Neuropsychotherapie von Klaus Grawe) bestätigen dies heute. Ebenso wie Virginia Satir bin auch ich der Überzeugung, dass ein therapeutischer Kontakt, der sich lediglich auf das Wissen von Psychopathologie (d.h. die Lehre der psychischen Erkrankungen) stützt, in der Betrachtung des Menschen defizitär und möglicherweise auch in seiner heilsamen Wirkung eingeschränkt bleibt. Virginia Satir rückte stets den Begriff Selbstwert in den Mittelpunkt, denn sie war davon überzeugt, dass der größte Teil menschlicher Probleme und Schmerzen eine Folge niedrigen Selbstwertes ist. Bei ihr ist die Vorstellung, die ein Mensch von seinem eigenen Wert besitzt, entscheidend dafür, was sich in ihm abspielt und wie er auf Herausforderungen reagiert. In ihren Augen war das Gefühl des Wert- und Nichtwertseins erlernt und konnte zu jedem Zeitpunkt im Leben wieder verlernt werden! Dazu schrieb sie in "Selbstwert und Kommunikation", (S.39, 45):

 

"Es ist immer Hoffnung da, dass dein Leben anders werden kann, denn du kannst jederzeit neue Erfahrungen machen und so Neues lernen. [...] Wir alle sind möglicherweise langsame Lerner, aber wir alle sind lernfähig."

 

Sowohl für meine Arbeit in der Psychosomatik, als auch für die in eigener Praxis als Heilpraktikerin für Psychotherapie kann ich sagen:

Die ganzheitliche Sichtweise von Virginia Satir wird mir auch weiterhin ein großes Vorbild sein!

 

 

Ein weiterer Artikel zu diesem Thema: "Sinnfragen"

 

 

 

 

Bild zur Meldung: Psychotherapie ganzheitlich