Ganzheitlich Fokussieren

01.09.2018

 

... was ist das? Es geht um eine prozessorientierte Psychotherapie und die Überwindung der Körper-Geist-Spaltung. Eine ganzheitliche Art und Weise der psychotherapeutischen Arbeit fand ich zuerst im NLP und bei Virginia Satir, später auch in der PITT von Luise Reddemann oder anderen achtsamkeitsbasierten Methoden. Ohne dass es sich bei diesen Verfahren explizit um Körperpsychotherapien handelt, so wird doch gerade der Körper dabei gezielt mit einbezogen. Zur Prozessanregung setze ich unterschiedliche Methoden schulenübergreifend ein. Wie auch immer ich auf Ihr Problem abgestimmt eingehe - ob kognitiv, systemisch, achtsamkeitsbasiert, mit einem verhaltens- oder erlebnisorientierten Ansatz - entweder Verständnis erweiternd, stabilisierend oder im Sinne eines verbesserten Selbstmanagements - bei all dem bleibt das ganzheitliche Fokussieren immer der Kern meiner Arbeit mit Ihnen.

 

 

Zunächst ist eine relative Entspannung anzustreben, die innere Reflektion- und Lernfähigkeit zu ebnen. So mancher glaubt, nicht fokussieren zu können, weil das "Bauchgefühl" fehlt oder möglicherweise sogar der Bezug zum Körper aversiv besetzt ist. Einige Verfahren (psychologische Schulen) meinen, für eine psychische Genesung müsste erst die Fähigkeit zum Selbst-Ausdruck entwickelt werden (Symbolisieren und Mentalisieren). Meiner Überzeugung und Erfahrung gemäß ist jedoch der Mensch in der Regel bereits von Beginn an mit allen Fähigkeiten zum ganzheitlichen Fokussieren ausgestattet, vor allem psychisch noch unausgereifte Kinder! Meistens haben wir es lediglich verlernt auf den ganzheitlichen Erkenntnisweg zu achten, und in der Psychotherapie kann diese Art des Gewahrseins zurückgewonnen werden. Denn nicht die Therapeutin muss das Problem analysiert haben, um den Lösungsweg für Sie heraus zu finden, sondern Sie sollten zum Fokussieren kommen, um ihren eigenen Weg finden zu können! Auch das Verhalten spielt eine wichtige Rolle und darf nicht vernachlässigt werden!

 

 

Beim ganzheitlichen Fokussieren geht es um den inneren Kontakt zu einem komplexen Verständnis, an dem viel mehr als nur Gefühle und Verstehen beteiligt sind. Der Kontakt zu einem solchen komplexen Verstehen macht sich fast immer körperlich bemerkbar und wurde von Gendlin "Felt Sense" genannt. Wenn es in der Psychotherapie (oder Selbsthilfe) gelingt, dieses Körpergefühl in einen Erkenntnisprozess zu bringen, dann wird echte Veränderung eingeleitet. Einen solchen Prozess nannte Gendlin dann "Shift Sense". Eugene F. Gendlin (Psychotherapeut und Philosoph) forschte über viele Jahre und lieferte mit Focusing den entsprechend theoretischen Hintergrund für eine prozessorientierte Psychotherapie, wie ich sie schulenübergreifend praktiziere und an dieser Stelle simple "ganzheitlich Fokussieren" nenne. Gendlin arbeitete übrigens in den 60iger Jahren sehr lange mit Carl Rogers zusammen. Mit Focusing erweiterte Gendlin die Klientenzentrierte Gesprächstherapie (nach C. Rogers), beide Verfahren können der Humanistischen Psychologie zugeordnet werden. 

 

 

Wir wissen heute nicht nur aus Gendlins Forschung, dass bei einer Psychotherapie jede innere Veränderung immer vom Klienten selbst eingeleitet, gesteuert und auch kontrolliert wird. Die unbewusste psychische Kontrolle (in der Psychoanalyse als "Abwehrmodus und Widerstand", in der Verhaltenstherapie als "maladaptiertes Coping" bezeichnet) ist oftmals eine stabile Barriere und verhindert zunächst wünschenswerte Veränderungen. In Bezug darauf ist bei psychischen Störungen das Gefühlsleben immer mit beeinträchtigt: Manche Menschen erleben Störungen ihrer Gefühls- und Impulskontrolle ganz bewusst. Manche fürchten sich vor ihren Emotionen, sie haben Angst davor und stellen sich die zu vermeidenden Gefühle als lauernde Monster hinter verschlossenen Türen vor. Wieder andere spüren nicht viel, sie sind im Innern taub oder leer, neuerdings Alexithymie genannt. Vielleicht hat man sich auf äußerliche Stimuli fixiert, mal um sich selbst zu beleben, mal um andere beeindrucken zu können. Einige sind ständig mit Dramen und Beziehungen beschäftigt, echte oder künstliche, eigene oder die von anderen. Auf diese Weise kann man sich auch verbunden und lebendig fühlen, verhindert damit aber erfolgreich, die eigenen Gefühlsregungen wahrzunehmen. Unsere Kultur bietet so viel Zerstreuung. Die meisten dieser "Kicks" sind gesellschaftlich völlig akzeptiert und manche werden sogar erwartet. So mancher fürchtet das Chaos, ist schnell überfordert, emotionales Erleben kann gepuscht oder betäubt kontrolliert werden ... ... Auf welche Weise auch immer sich Probleme (Störungen) so stabil aufrecht erhalten, das Fass einmal überläuft und es dann Anlass gibt, professionelle Hilfe aufzusuchen, weil die Passung sozusagen dann verloren geht: Alle Menschen haben ihren inneren Lebensprozess, egal wie dick der Zugang dazu auch versperrt sein mag! Jeder Mensch kann sich zum ganzheitlichen Fokussieren befähigen, denn der Mensch ist als spirituelles Wesen mit allem dazu ausgestattet! So wird das menschliche Potential in der Humanistischen Psychologie gesehen, und so betrachte ich es auch. Demnach hat jeder Mensch den Schlüssel zur heilenden Erkenntnis in sich selbst.

 

 

Das ganzheitliche Fokussieren ist ein phänomenologischer Blick auf Erlebnisse. Ein Felt Sense ist daher weder ein Kick, noch eine Kartharsis (d.h. spontane, heftige Entladung von Emotionen). Prozessarbeit geschieht in der Regel sanft und unspektakulär, und sie sollte von Therapeuten nicht kontrolliert werden. Ganzheitliche Prozessarbeit ist von einem kognitiven oder analytischen Verständnis weit entfernt. Darauf haben sich die Richtlinienverfahren leider einseitig spezialisiert. Ein rein intellektuelles Verstehen führt selten zum komplexen Verständnis. Ebenso wenig einseitiges Aufdecken und Bearbeiten von Gefühlen und Konflikten. Beim ganzheitlichen Fokussieren kann der Mensch mit seinem Lebensprozess und allen implizit daran beteiligten psychischen und geistigen Strukturen in Berührung kommen, und dabei kann viel mehr erfasst werden, als verbal dazu ausgedrückt werden kann. Psychische Systeme sind komplex und mehrdimensional. Deshalb ist es wenig erforderlich, während eines solchen Prozessgeschehens alles analysierend durchzusprechen, sondern vielmehr es geschehen zu lassen! Ein spiritueller Respekt vor jedem Lebensprozess, jedem Individuum ohne dabei psychopathologisch zu deuten ist förderlich und R A U M G E B E N D für diese wertvollen Prozesse! Die Gestalttherapeuten haben diesen Aspekt damals schon als wesentlich für ihre Arbeit erkannt und verzichteten sogar vollkommen auf Diagnostizieren während einer gestalttherapeutischen Psychotherapie. Dafür wird das Gestaltverfahren hierzulande vom anerkannten Versorgungssystem auch ausgeschlossen. Samuel Hahnemann führte mit der Homöopathie ebenfalls eine phänomenologisch ganzheitliche Sichtweise auf Störungen der Gesundheit ein und sagte damals (1805): "Es gibt keine Krankheiten, nur kranke Menschen." (Heilkunde der Erfahrung)

 

 

Jegliches Streben nach Kontrolle oder analytische Überlegenheit sind in der ganzheitlichen Psychotherapie fehl am Platz! Die therapeutische Haltung ist eine ehrfürchtige Haltung vor jedem Lebensprozess und eine respektvolle jedem Menschen gegenüber. Die prozessorientierte Psychotherapie zielt darauf ab, das "innere Bauchgefühl" von den "inneren Kritikern" (von Freud Überich genannt) unterscheiden zu lernen und das Vertrauen in den eigenen Lebensprozess zu stärken anstatt von Therapien oder Therapeuten abhängig zu machen. Es kann so auch einer ausgeprägten Außenorientierung entgegengewirkt werden, wie sie leider bei vielen psychischen Störungen vorzufinden ist. Lernen Sie Ihr Bauchgefühl wieder kennen! Unterscheiden und entscheiden Sie wieder selbst!

 

 

Was "ganzheitliche Psychotherapie" für mich außerdem bedeutet, beschreibt ein gleichnamiger Artikel noch weiter.