Erlebnisorientierte Interventionen

15.07.2018

 

... sind vom Psychodrama (Moreno) und von der Gestalttherapie (Perls) inspiriert. Dabei ist der Klient als ganze Person mit seinem Erleben involviert. In meiner Praxis können sie sowohl in der Therapie, als auch im Coaching zum Einsatz kommen. Bei den sogenannten "Stühledialogen" z.B. kann eine innere Szene externalisiert (d.h. nach außen verlagert) durchgespielt werden. Dabei kann man sich auch in die Stühle anderer Positionen, die am inneren Konflikt beteiligt sind, hineinsetzen, sich auf diese Weise mit konträren Seiten "auseinandersetzen" und so stimmige Klärungen herbeiführen. Sie werden von Klienten eindrucksvoll erlebt und können auch bei Bedarf in einer Paartherapie eingesetzt werden. Auch können auf diese Weise ressourcenvolle Erlebnisse oder neue Erfahrungen mehrdimensional (also über alle Sinne) miteinander verknüpft werden. Die am Erlebnis und der inneren Erfahrung orientierten Interventionen wurden in der Hypnosetherapie, im Focusing, im NLP und ins Schemacoaching integriert.

 

Mit erlebnisorientierten Interventionen können starke Impulse gesetzt und Veränderungen initiiert werden, die sich erfahrungsgemäß tiefer verankern als solche, die im Gespräch als rein kognitiv-emotionale Einsichten entstehen. Auch Virginia Satir, die Pionierin der Systemtherapie hat aus gleichen Überlegungen heraus mit ihrer berühmten "Parts Party" oder Skulpture" starke erlebnisorientierte Interventionen entwickelt. Daraus sind später die systemischen Aufstellungen (nach Hellinger) hervorgegangen. Während jedoch Parts Party und Aufstellungen meist richtig zeitaufwändig sind, können die erlebnisorientierten Interventionen aus der Gestalttherapie unkompliziert in beinahe jedes Therapiesetting einfließen.

 

 

Gestalttherapie

 

... wurde von einem Analytiker-Ehepaar entwickelt, die sich jedoch in den 40iger Jahren von der Freud'schen Psychoanalyse abwendeten. Lore und Fritz Perls, die Gründer entwickelten die Gestalt-Methode aus dem Lebenskontext des Nazi Regimes heraus, vor dem sie wegen ihrer jüdischen Wurzeln nach Südafrika flohen und dort ein Apartheitsregime erlebten. Es verwundert daher nicht, dass sie die Fähigkeit zur Selbstregulation und das Prinzip der Selbstaktualisierung des Menschen so betonten. Ihre Grundannahmen über die Natur des Menschen und seine Möglichkeit zu innerer Freiheit und Selbstbestimmung gehen auf die Philosophie von Kurt Goldstein und Wilhelm Reich zurück; sie können als ein Gegenkonzept zu äußerer Kontrolle und absoluten Vorstellungen gesehen werden. Auch die Humanistische Psychologie griff dieses positve Menschenbild später auf. Gestalttheoretischer Annahmen gemäß erfolgt die "organismische" Selbstregulation eines Menschen immer im Austausch (d.h. im Kontext) mit der Mitwelt. Die Gestaltmethode war aufgrund ihres ganzheitlichen Menschen- und Weltbildes eine Gegenströmung zur wissenschaftsorientierten Psychoanalyse sowie dem Behaviorismus (Verhaltensforschung), welche damals die Psychotherapie-Entwicklung dominierten.

 

In Südafrika arbeiteten die Perls weit weg von der konventionellen Psychoanalyse und begannen zu experimentieren. So entwickelte sich ein Setting, bei dem Therapeut und Klient sich gegenüber sitzen - völlig entgegen der traditionellen Psychoanalyse, wobei der Patient auf der Couch liegt, der Therapeut hinter ihm sitzt und von sich überhaupt nichts preisgibt. In der Gestaltmethode brachte sich der Therapeut jetzt als ganze Person in den Therapieprozess mit ein, d.h.: "Der Therapieklient wird vom >Patienten<, der behandelt wird, zu einem personalen Gegenüber, dem der Therapeut im Hier-und-Jetzt begegnen und mit dem er einen gemeinsamen Weg entwickeln kann [...]." (R. Fuhr, M.Streckovic, M. Gremmler-Fuhr, Das Menschenbild der Gestatltherapie, S. 488, Hg. H.G. Petzold)

 

In den 50iger Jahren verlegten die Perls ihren Schaffensmittelpunkt in die USA. Dort nimmt die Gestalttherapie seither einen bedeutsamen Platz in der psychotherapeutischen Versorgungslandschaft ein. Ganz anders in Deutschland, dem Heimatland der Gründer, wo sie bedauerlicherweise aufgrund des landesüblichen Gesundheitssystems bis heute nur ein Schattendasein führt. Der amerikanische Schriftsteller Paul Goodman, der einen großen Einfluss auf die Eheleute Perls hatte, favorisierte und prägte die erlebnisorientierten Elemente dieser Arbeitsweise. Goodman gilt daher auch als ein Mitbegründer der Gestaltmethode. Das Menschen- und Weltbild der Gestalttherapie ist unmittelbar miteinander (holistisch) verknüpft, so dass ein Individuum niemals ohne seinen Kontext und umgekehrt gesehen werden kann.

 

Fünf allgemeine Prinzipien der Gestalttherapie:

  • Ganzheitlichkeit
  • Relativierende Realitätswahrnehmung
  • Selbstregulation und schöpferische Anpassung
  • Dialogische Prozessorientierung
  • Differenzierung und Integration

 

"Bei jeder >Berührung< der Sinnesorgane mit dem Wahrzunehmenden spielt die Situation der wahrnehmenden Person eine wichtige Rolle. Interessen und Bedürfnisse (auch unbewusste) entscheiden mit darüber, was wir wie wahrnehmen, und was wir ausblenden. [...]. Realität wird von uns erlebt, sie ist keine Tatsache. Auch Vergangenheit und Zukunft erleben wir, und zwar im Hier-und-Jetzt; es sind immer Rekonstruktionen der Vergangenheit oder Projektionen in die Zukunft - beides geschieht in der Gegenwart. Dies ist eine der Grundlagen für die Gegenwartsorientierung in der praktischen therapeutischen Arbeit. [...]

 

>Gestalt< ist eine Ganzheit im Kontext größerer Ganzheiten; eine Gestalt ist dynamisch, das heißt, sie entsteht und vergeht wieder - wie alles Lebendige; dieser >Gestaltbildungsprozess< lässt sich nicht determinieren, denn er unterliegt dem Prinzip der Selbstregulation; und schließlich steht eine Gestalt für den Prozess der Wahrnehmung also der Figur-Grund-Bildung, der uns immer wieder neue und unterschiedliche subjektive Realitäten erleben lässt, und über die es gilt, sich im Dialog zu verständigen." ( R. Fuhr, M. Screckovic, M. Gremmler-Fuhr, Das Menschenbild in der Gestalttherapie, S. 489, Hg. H.G. Petzold)

 

Für mich ist die Gestalttherapie eine Quelle weiser Vorstellungen über menschliche Interaktionen und Fundstätte hervorragender therapeutischer Interventionen! Es wundert mich daher nicht, dass einige der (in meinen Augen) besten NLPler - wie Steve Andreas und seine Frau z.B. - schließlich auch Gestalttherapeuten waren!