Dankbarkeit

19.11.2019

 

... wird als Ressource immer mehr von der Psychotherapie entdeckt. Geht möglicherweise sie im Alltagstrott zu leicht verloren? Dabei gibt es so vieles, auf das der Mensch sich verlassen und für das er dankbar sein kann: Die Jahreszeitenfolge mit dem Aufblühen der Pflanzen, mit dem Wachstum der Früchte, mit der Erntezeit und dem langsamen Übergang in die Winterruhe; Sonne und Mond, die beständig im Wechsel scheinen; und die zahlreichen Sterne, die zuverlässig am Firmament in ihren Formationen funkeln. "Manchmal vergesse ich die Dinge, auf die ich zählen kann und versuche mich auf Dinge zu verlassen, auf die ich nicht zählen kann", sagt Anne Wilson Schaef (in Weisheit der Urvölker für westliche Köpfe, 24. Nov.). Damit spricht sie aus, was für den westlich geprägten Geist so typisch ist. Der Kontakt mit dieser Dimension scheint verloren zu gehen.

 

 

Zwischen Leistungsprinzipien, immer höher werdenden Ansprüchen, Konkurrenz-, Vergleichs- und Kontrolldrang kann sich negatives Denken leicht breit machen. Es ist von soziokulturellen Aspekten hier die Rede, die Resilienz schwächen und Krankheit begünstigen können. "Negative Vorannahmen stellen den Optimismus des Bedächtigen dar, der die Tatsachen kennt!" hörte ich kürzlich einen Arzt in meinem Umfeld sagen. War das ein Scherz? >Pessimistisch versus Optimistisch< repräsentiert nur einen Dualismus von vielen, die unserem wissenschaftlich mechanistischem Denken zu Grunde liegen, sowie unsere Sprache und westliche Kultur bis ins Feinste durchdringen. Dem modernen Menschen kostet es heute Mühe, achtsam wahrzunehmen ohne zu bewerten oder vorbehaltlos dankbar zu sein. Die ganzheitliche Psychotherapie bezieht daher ganzheitliche, also auch transzendenzorientierte Denk- und Sinnsysteme wieder intensiv mit ein. Selbstverständlich muss dabei die spirituelle, bzw. religiöse Neutralität, die in der Psychotherapie so wichtig ist, als persönliche Grenze immer gewahrt bleiben.

 

 

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!" lautet ein weit verbreiteter Grundsatz. Negatives Denken dient der Angst vor, und der Vermeidung von Enttäuschungen. Dahinter mag eine positive Schutz- und Vorsorgeabsicht stehen. Doch beziehen die sich nicht allzu häufig auf Zusammenhänge, die sich weder kontrollieren, noch tatsächlich vorhersehen lassen? Der Philosoph und Psychotherapeut Paul Watzlawick hat diesen Aspekt in seinem witzigen Kurzgeschichtenbuch "Anleitung zum Unglücklichsein" verarbeitet und darin das Phänomen der "selbsterfüllenden Prophezeiung" aufgezeigt. Wie sich das Leben durch negative Vorannahmen zwangsläufig und nicht anders als negativ inszenieren kann, ist jedoch nicht immer witzig! Im Schemacoaching oder einer Fokaltherapie lassen sich solche Psychodynamiken therapeutisch verändern, wenn sie nämlich gravierende Probleme bereiten oder gar zur Entstehung psychischer Störungen beitragen. Fast immer läuft das unbewusst ab. Sie finden sich bei Beziehungs- und Partnerschwierigkeiten genauso wie bei manifesten Depressionen, Angsterkrankungen, Essstörungen, Süchten, Mobbing, Borderline- und Persönlichkeitsstörung wieder. Denn vielen Menschen fehlt heute das Urvertrauen, sie sind geprägt von gravierenden Enttäuschungen und Angst. Wie kann man da von Untugend sprechen? "Denk doch positiv!" mag der Appell dann zynischer Weise lauten. Wie oft mögen Dinge unter einer solchen Devise schöngeredet, Madiges bagatellisiert, Gefahren ignoriert oder Konflikte verleugnet werden!

 

 

Die Positive Psychologie hat inzwischen wissenschaftlich belegen können, wie wertvoll Dankbarkeit zum Ressourcenaufbau fungiert. Die Positive Psychotherapie (nach Seligman) setzt Dankbarkeitsübungen ein, um negatives Denken und Gefühle von Leere zu überwinden, sowie Kontrolle und Perfektionismus wieder mehr loslassen zu können. Im DBT (Dialektische Behaviorale Therapie) wird Dankbarkeit als Strategie zur Beruhigung und Krisenintervention eingesetzt. Damit greifen wissenschaftliche Psychotherapien eine simple Methode der Mystiker und transzendenzorientierten Sinnsysteme auf! Nämlich Dankbarkeit als  eine Energie- und Kraftquelle zu nutzen, um Vertrauen und Verbindung aufzubauen. "Wenn in allem Geschenk ist und leuchtende, uneingeschränkte Freude, ist unser Herz lebendig und erfüllt von tiefer Dankbarkeit. Dankbarkeit, die uns aus unseren schlechten Träumen von Beziehungslosigkeit, Getrenntsein und Einsamkeit aufweckt. Dankbarkeit, die nicht Abhängigkeit ausdrückt, sondern wissende Zugehörigkeit und mohnrote Liebe", heißt es bei der Mystikerin Marion Küstenmacher (in "Der Seele einen Garten schenken", S. 131). Der nach Orientierung suchende Mensch sollte sich nicht im polarisierenden Denken um >Gut oder Böse<, >Richtig oder Falsch< verlieren, auf der Suche nach dem Dazwischen ... oder in anderen inneren Dialogen. Eine Psychotherapie oder ganzheitliches Coaching können wichtige "Übergangserfahrungen" bieten auf dem Weg zu mehr innerer Sicherheit, Persönlichkeitswachstum und echter Autonomie. Achtsamkeit kann die Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt binden und sichere "Erdung" für das Realitätserleben bieten. Dankbarkeit ist dann kein Gebet, sondern ...

 

 Es ist kein Gebet, sondern eine einfache Übung

 

... eine einfache Übung, wenn Sie sich in regelmäßigen Abständen, z.B. am Frühstückstisch oder im Bus die Fragen stellen:

 

Was ist heute gut? 

 

 

Auch abends vor dem Einschlafen lohnt sich die Beschäftigung mit der Frage:

 

Was war heute gut? Wofür bin ich dankbar?

 

 

Und für eine ausführliche Übung der Dankbarkeit kann folgendes Format einmal ausprobiert werden:

 

Wofür bin ich dankbar -

In mir selbst?

An und in meinem Körper?

In meinen Beziehungen?

In der Gesellschaft, in der ich lebe?

Auf diesem Planeten?

Im Universum?

 

Wofür bin ich außerdem dankbar -

Gegenüber der Erde?

Gegenüber der Luft?

Gegenüber der Sonne?

Gegenüber dem Wasser?

Gegenüber meinen Vorfahren?

 

 

(Quelle der ausführlichen Dankbarkeits-Übung: Anne Wilson Schaef aus "Leben im Prozess", S. 436 - hier mit leichter Abwandlung vom Original)