Analyse: ein Ursachen-Wirkungsspektrum

02.01.2019

Analytische Therapie- und Denkansätze sind ursachen- und konfliktzentriert. Sowohl die Psychoanalyse, als auch die Tiefenpsychologie gehen auf Sigmund Freuds Hypothese zurück, dass psychische Probleme ursächlich auf verdrängte Libido-Energie und unbewusste Konflikte zurückzuführen sind. Diese Thesen revolutionierten das damalige naturwissenschaftliche und verstandesbetonte Selbstverständnis des Menschen. Sie führten immer wieder zu Kontroversen, auch im eigenen Lager. Die Psychoanalyse hat eine solche Fülle an differenzierten Erklärungen für psychosexuelle Entwicklung und psychische Störungen des Menschen hervorgebracht, was gar nicht hoch genug gewürdigt werden kann. Einmal ganz abgesehen davon,  welch unermesslichen Einfluss die Psychoanalyse auch auf Sozialwissenschaften, Kunst- und Kulturbewegungen im 20. Jhd. genommen hat. Sie versteht sich als Therapieansatz, als wissenschaftliche Forschungsmethode und als Kulturkritik.

 

Die Psychoanalyse hat sich als wissenschaftliche Disziplin etablieren können, und viele ihrer Thesen sind in die allgemein anerkannten Neurosen- und Entwicklungslehren eingegangen. Besonders durch den wissenschaftlichen Status der Lehren gab es von feministischer Seite her heftige Kritik (Kate Millett, Lilian Rotter, Harriot Goldhor Lerner, Jessika Benjamin, Judith Butler, Susie Orbach u.v.a.). Und obwohl die Analyse bis heute eine dominant männliche Perspektive repräsentiert, so wurden bedeutende Beiträge zur Weiterentwicklung analytischer Sichtweisen auch von namhaften Frauen geleistet (wie Anna Freud, Karen Horney, Margarete Mahler, Melanie Klein, Annie Reich, Margarete Mischerlich-Nielsen u.v.a.). Seit einigen Jahren ist die feministische Kritik nun verebbt, und die weiblichen Stimmen der Psychoanalyse (Christa Rhode-Dachser, Luce Irigaray u.a.) söhnen sich unter Einbeziehung erkenntnistheoretischer Aspekte von Heinz Kohut und Jacques Lancan aus mit den Ursprungspostulaten von Sigmund Freud.

 

Seit den 30iger Jahren brachten die Nachfolger Freuds immer neue Betrachtungsweisen hervor, was zu diversen analytischen Schulrichtungen geführt hat. "DIE Psychoanalyse gibt es schon lange nicht mehr," schrieb Wolfgang Mertens, ein namhafter Autor 1997 (Psychoanalyse, Geschichte und Methoden, S.15) "Es existiert vielmehr ein psychoanalytischer Theorienpluralismus, eine kreative Phase theoretischer Weiterentwicklung." (S.16) Nach jahrelangen Arbeitskreisen fasste 2004 die sog. OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) schließlich alle Richtungen unter einen gemeinsamen Hut zusammen. Seitdem können analytische Behandlungen und psychologische Gutachten wissenschaftlich standardisiert nach dem OPD-Schema vorgehen, ohne einer bestimmten analytischen Richtung verpflichtet zu sein. "Die in den Dekaden zuvor auseinander differenzierten theoretischen Positionen werden pragmatisch in eine moderne klinische Praxis integriert." (Markus Fäh, Interdisziplinäre Perspektiven, S.365, Hrsg. H.G. Petzold) Dabei blieben die bedeutsame Schule nach Carl Gustave Jung sowie die Verdienste der Existenzanalyse von Victor Frankl (auch Logotherapie genannt) als Außenseiterpositionen unbeachtet. Sowohl Jung, als auch Frankl haben sich schon früh von Freuds dualistischem Konzept einer Libido- und Trieblehre abgewendet und sich einem ganzheitlichen Menschen- und Weltbild verschrieben. Damit verzichten sie bis heute auf einen wissenschaftlich anerkannten Status.

 

Auch die sogenannte Tiefenpsychologie (TfP - tiefenpsychologisch fundierte Gesprächstherapie) ist analytisch ausgerichtet. Eine TfP verläuft im Sitzen und ist eine analytische Gesprächspsychotherapie, während bei einer klassischen Psychoanalyse der Patient auf der Couch liegt und frei assoziiert (was ihm in den Sinn kommt), sein Therapeut am Kopfende der Couch sitzt und diese Assoziationen deutet. Gegenstand der Bearbeitung sind in beiden Verfahren die aktuellen Konflikte des Patienten. Es wird hier davon ausgegangen, dass aktuelle Schwierigkeiten durch verdrängte, frühkindliche Konflikte bedingt sind, in einer Analyse verstanden und integriert werden können. Doch auch Persönlichkeitsdefizite werden in den Fokus genommen, wenn die psychische Struktur des Menschen nicht ausreichend entwickelt ist, um Gefühle adäquat wahrnehmen, einordnen und ausdrücken zu können. Bei den sogenannten Ich-strukturellen Defiziten möchte die tiefenpsychologische Gesprächstherapie Wahrnehmung und Verbalisierung von Gefühlen therapeutisch unterstützen. Analytische Verfahren sind aufdeckend, und es wird betont konflikt- und problemorientiert gearbeitet.

 

 

In meiner Praxis

 

In meiner Praxis sind psychoanalytische Denkansätze hoch geschätzt. Wissenschaftliche Erkenntnisse und diagnostische Gesichtspunkte können ggf. professionell mit einbezogen werden, vor allem bei Traum- und Symbolbedeutungen. Nicht teilen kann ich das defizitäre und überwiegend negative Menschenbild, von dem Psychoanalytiker und Tiefenpsychologen leider ausgehen. Stattdessen vertrete ich bevorzugt die Sichtweise der Selbstaktualisierungstendenz des Menschen, wie sie in der Humanistischen Psychologie (C.R. Rogers und A. Maslow) und der Gestaltpsychotherapie (F. Perls) beschrieben worden ist. Meine Praxis steht mit großer Überzeugung für eine ressourcen- und zielorientierte Therapie, dem Arbeitsansatz der Systemischen- und Positive Psychotherapie, der Hypnose und des NLP. Im besten Fall führen Deutungen oder analytisch angeregte Reflektionen zum ganzheitlichen Fokussieren. In einer komplexen Welt ist Psychotherapie sicherlich auf allen Ebenen wertvoll, daher arbeite ich gerne schulenübergreifend. Jedoch die Arbeit mit zielorientierten Methoden erachte ich in der Psychotherapie für den oft sinnvollsten Weg: Dabei geht es auch um die konkrete praktische Umsetzung, die Entwicklung einer Gesundheit fördernden Lebensweise. Überlegungen, wie sich ein weiteres Leben in einem nicht behandelten und vielleicht noch kranken Umfeld gestalten kann, erfordert auch die Entwicklung einer Rückfallprophylaxe! Der Weg sollte über Ursachenerkenntnis und Wiederanpassung an gegebene Umstände hinausführen können. Dazu betrachte ich die Verbindung, den Bezug zum Körper essentiell, denn eine Psychotherapie darf sich nicht auf die emotional-mentale Ebene des Daseins reduzieren! So führen die analytischen Methoden nämlich häufig zu genau der Kopflastigkeit, gegen die Freuds Psychoanalyse - einst als große Kulturkritik - vorgehen wollte und genau darin schließlich versagt! Bei aller Hommage für die Analyse gehört besonders dieser Aspekt zu meinem kritischsten Blick darauf.

 

 

 

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