Psychotraumata

14.06.2019

 

Seelische Erschütterung und Folgen von verletzend einschneidenden Ereignissen rücken seit Mitte des 20igsten Jahrhunderts immer mehr in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Sigmund Freud erregte Aufmerksamkeit mit seinem Vortrag über Hysterie als Folge von Kindesmissbrauch (1896), und mit der Psychoanalyse begann sich das Verständnis von Traumata langsam zu verändern. Nach dem zweiten Weltkrieg kämpften zahlreiche Opferverbände um Anerkennung und Wiedergutmachung ihrer verheerenden psychischen Leiden. Auch in den Symptomen der sogenannten "Kriegszitterer" begann man die Folgen von Kriegsneurose (combat fatigue) zu erkennen. In den 1970iger Jahren machten Veteranen des Vietnamkrieges mit ihren erschütternden Folgeerscheinungen auf sich und die sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung aufmerksam. Inzwischen ist hinreichend bekannt, dass Traumabelastungen sogar an die nachfolgende Generation weitergegeben werden können. In den 1990iger Jahren begründete sich schließlich eine eigene wissenschaftliche Disziplin zur Erforschung psychischer Traumata - die Psychotraumatologie. Inzwischen hat sich unser Wissen über die Verarbeitung von Traumata enorm erweitern können. Im Folgenden fasse ich nun einige der Kernkriterien von Trauma verursachten Störungen für Sie zusammen:

 

 

Akute Belastungsreaktion

 

Eine akute Belastungsreaktion geht mit einer gewissen Betäubung einher, wie eine Bewusstseinseinengung mit einer eingeschränkten Aufmerksamkeit. Damit ist verbunden, dass Reize nicht mehr adäquat verarbeitet werden und es entsteht ein Gefühl innerer Desorientiertheit. Die Erschütterung des Selbstverständnisses und der Selbstsicherheit führen häufig zu einem Rückzug der betroffenen Personen. Auch Unruhezustände oder Überaktivität können auftreten. Vegetative Symptome wie Schwitzen, erhöhter Puls und Ängste sind Zeichen des psychischen Stresses. Die Symptome einer akuten Belastungsreaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung, z.B. nach einem Unfall oder anderen Schockerlebnissen, gehen normalerweise innerhalb weniger Tage wieder zurück.

 

 

Anpassungsstörung

 

Bei einer Anpassungsstörung überwiegen die depressiven Symptome und häufig auch Ängste. Auch aggressive Impulse können mit diesem Störungsbild auftauchen, vor allem bei Kindern. Es entsteht ein Gefühl, das Leben nicht mehr bewältigen zu können. Mit der depressiven Symptomatik gehen einher: niedergeschlagene Stimmung oder Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen oder Albträume, sozialer Rückzug und Interessenverlust sowie gesteigerte Ermüdbarkeit. Es kann sich eine Antriebsschwäche einstellen, oder auch Überaktivität als Versuch innere Unruhezustände zu kompensieren. Eine Anpassungsstörung entwickelt sich innerhalb eines Monats nach oder während der Belastung, und sie sollte schließlich innerhalb eines halben Jahres wieder abklingen. Wenn eine solche Befindlichkeitsstörung länger andauert, muss an eine manifeste Depression gedacht werden.

 

 

Posttraumatische Belastungsstörung

 

Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt sich als "Reaktion auf ein Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde", ist der beschreibende Wortlaut im ICD 10, dem Internationalen Diagnose Manual psychischer Störungen. Diese Erkrankung erzeugt Symptome, die als sogenannte "Trauma-Trias" bekannt sind: Dazu zählen Hyperarousal, Wiedererleben und Vermeidung.

 

Ein Hyperarousal zeigt sich durch ungewöhnliche Unruhe, Gereiztheit, Angst und Panikattacken, Schlafstörungen, Risikoverhalten und Schreckhaftigkeit. Die Betroffenen haben in der Regel ein großes Bedürfnis, sich zu bewegen und laufen manchmal stundenlang durch die Gegend. Unter Intrusivem Erleben, auch Flashbacks genannt, versteht man ein akustisches oder visuelles Wiedererleben von Erinnerungsszenen der traumatischen Erlebnisse. Auch Albträume zählen dazu. Dissoziative Zustände gehen mit Bewusstseinsverlusten einher, die von Ohnmachten bis zu kurzen Absencen reichen. Unter die Vermeidung fallen Situationen und Orte, die erfahrungsgemäß ein Wiedererleben triggern können. Eine PTBS geht häufig mit Abflachung des emotionalen Erlebens, sozialem Rückzug und depressiver Stimmung einher.

 

Während nun eine akute Belastungsreaktion von relativ kurzer Dauer ist, Anpassungsstörungen über einen etwas längeren Zeitraum anhalten, kann eine PTBS sowohl als akute Störung entstehen - aber auch chronische Folge von Schreckenserlebnissen sein und sich dann sogar über Jahre hinweg mit diesen quälenden Symptomen manifestieren. Schwere Persönlichkeitsveränderungen können infolge chronisch nicht verarbeitbarer Traumata entstehen.

 

 

Traumafolgeerkrankungen

 

Traumafolgeerkrankungen sind sehr vielfältig, und die Traumaexpertin Prof. Dr. Luise Reddemann sagt: "Wichtig ist, dass wir uns klarmachen: Traumatisch ist ein Ereignis dann, wenn es erlebt wird mit Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühlen extremer Angst und gleichzeitig [...] zu Gefühlsüberflutung, gegebenenfalls Panik und Todesangst führt." (L. Reddemann, Psychodynamische Imaginative Traumatherapie für Kinder und Jugendliche, S. 63) "Der Begriff des Traumas wird allerdings mittlerweile etwas inflationär verwendet", bemerkt Dr. med. Ingrid Pflanzelt, erfahrene Homöopathin und Psychoanalytikerin, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. "Viele psychische Erkrankungen werden nicht durch ein unbewusstes Trauma verursacht, wie oft populärwissenschaftlich vermutet wird, sondern durch verdrängte Konflikte. Deshalb ist es notwendig genau zu differenzieren: Ist die Symptomatik wirklich traumatisch bedingt? Oder wirkt etwa ein unbewusster Konflikt im Hintergrund?" (Ingrid Pflanzelt, Homöopathie und Psychotraumatologie, S. 12)

 

Dies ist in der Praxis immer eine wichtige Überlegung, wenn es darum geht, seelische Erschütterungen zu verstehen. Denn aus ehemals traumatisch erlebten Situationen, die in früher Kindheit unter Abhängigkeit von Bezugspersonen eine Anpassung des Menschen an die Umstände abverlangt, entstehen unbewusste Schutzmechanismen, Verhaltensschemata und innere Konflikte, die später als Neurosen bezeichnet werden und die sich im weiteren Leben problematisch erweisen. Dazu sagt Pflanzelt an anderer Stelle: "Traumatische Lebenserfahrungen können neurotische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und psychosomatische Störungen verursachen." (Ingrid Pflanzelt, Homöopathie und Psychotraumatologie, S. 62) Auch Suchterkrankungen können Traumafolgestörungen sein.

 

Nicht selten kommt es im Prozess einer Psychotherapie erst dazu, dass frühere, traumatisch erlebte Ereignisse wieder bewusst werden - nämlich dann, wenn der Klient in einer psychotherapeutischen Behandlung mehr und mehr zur Ruhe kommt. Die Behandlung von Traumakompensatorischen Schemata kann in meiner Praxis auch konfliktbedingt mit ressourcenorientierten Methoden der Ego-State Therapie, der Psychodynamisch Imaginativen Therapie (PITT) und der Schematherapie erfolgen. Diese Methoden haben den Vorteil, dass sie zusätzlichen Stress vermeiden und sowohl bei inneren Konflikten, als auch bei Traumafolgestörungen sicher eingesetzt werden können.

 

Inzwischen weiß man, dass Traumaerfahrungen sehr individuell und auch kollektiv sein können. Es sollte immer bedacht werden: "Jemand mit ausreichend psychischen Ressourcen, guter sozialer Unterstützung und ohne Vortraumatisierung wird das Trauma vielleicht unbeschadet überstehen, während ein Anderer schwere Folgenstörungen entwickeln kann. Andererseits können scheinbar normale Lebensereignisse wie Trennungen für Menschen traumatisierend wirken, wenn sie psychisch labil oder einsam sind und als Kind keine verlässlichen Beziehungen erlebt haben." (Ingrid Pflanzelt, Homöopathie und Psychotraumaologie, S. 11) In meiner Praxis können Psychotraumata auch professionell homöopathisch mit behandelt werden.