DBT und Achtsamkeit

05.03.2019
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Marsha war ein sehr begabtes Mädchen. Mit 17 Jahren begann sie sich selbst zu verletzen, daher wurde sie in die Psychiatrie gebracht. Es ereignete sich im Jahr 1961, als sie dann wegen angeblicher Schizophrenie mit hochdosierten Psychopharmaka und Elektroschocks völlig falsch behandelt wurde. Inzwischen ist Marsha Linehan Professorin für Psychologie und leitet in Seattle (USA) ein Therapiezentrum für Borderline-Persönlichkeitsstörungen (BPS). In den 1980iger Jahren entwickelte sie die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT), ein Behandlungs-Programm speziell für Betroffene dieser Störung. 2011 gab die inzwischen berühmte Professorin der New York Times ein Interview und sprach darin auch über ihre eigene Borderline-Betroffenheit in früheren Jahren. Nicht nur Betroffene von Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) leiden unter schwer zu regulierenden Spannungszuständen, impulsiven Reaktionen, Ängsten, mangelndem Selbstvertrauen und instabilem Selbstwertgefühl. Von ähnlichen Symptomen können auch Menschen betroffen sein, die an einer Jugendkrise, einer Depression, an Essstörung oder unter einer Sucht leiden. Betroffenen von BPS gefährden sich häufig selbst, aber auch andere, sie gehen über Grenzen (borderlines) hinweg. Dabei erfolgt selbstverletzendes Verhalten in der Regel nicht in suizidaler Absicht - es stellt vielmehr den Versuch dar, einen schwer erträglichen inneren Zustand von Anspannung zu verändern.

 

 

DBT

 

Invalidieren ist in Linehans biosozialer Theorie über die Borderline-Störung eine spezifische Bezeichnung, auch für das typisch selbstschädigende Verhalten. Extreme Sportarten, riskantes Fahrverhalten, fahrlässiger Umgang mit psychotropen Substanzen oder ungeschützter Sex sind nur einige Beispiele dazu. Derartige Neigung können in einem familiären Klima entstehen, wo es an Einfühlung seitens der Bezugspersonen mangelt, das Kind herabgesetzt oder sogar missbraucht wird. Unter solchen Umständen wissen die betroffenen Kinder nicht, wie sie ihre emotionale Spannungen überhaupt aushalten können, geschweige, dass sie lernen, sie zu benennen und zu regulieren. In diesem Zusammenhang meint das Kind, seine Gefühle und Gedanken seien nicht zulässig - invalid, was im Englischen "ungültig" bedeutet, und meist noch von Gefühlen der Wertlosigkeit begleitet wird. Auch im Erwachsenenalter sind sie infolge dieser verinnerlichten Erfahrungen häufig nicht in der Lage, sich auf eigene Gefühle und Wahrnehmungen zu verlassen. BPS ist inzwischen eine anerkannte, gut beschriebene Störung und geht häufig mit Komorbidität einher, das bedeutet von mehreren Krankheiten betroffen zu sein. Instabile zwischenmenschliche Beziehungen, impulsives Verhalten und eine unsichere Selbstwahrnehmung ziehen sich dann wie ein roter Faden durch ein problemreiches Leben.

 

Linehan geht bei den Betroffenen von einer besonderen Vulnerabilität (d.h. psychische Verletzlichkeit) aus. Die "dialektische Strategie" des DBT besteht nun darin, scheinbare Gegensätze in der Welt der Betroffenen aufzugreifen, um sie schrittweise therapeutisch zu bearbeiten, zu integrieren und zu transzendieren (überwinden). Doch wie ist das zu verstehen? Schon im Gelassenheitsgebet ("Gott gebe mir die Gelassenheit, um ... usw.") werden wir auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen: nämlich 1. zwischen "den Dingen, die wir nicht ändern können" und 2."den Dingen, die wir ändern können" unterscheiden zu müssen. Im DBT begegnen wir dieser (manchmal verwirrenden) Gegensätzlichkeit mit einer sogenannten Radikalen Akzeptanz und dem Einsatz von Skills. Skills sind Fähigkeiten, die angemessen und konstruktiv zur Spannungsreduzierung und Selbstberuhigung eingesetzt werden, sie sollten sofort greifen. Skills müssen individuell entwickelt und erprobt werden. Achtsamkeits-Übungen stellen dabei die Grundlage dar, sowohl für die Entwicklung einer Radikalen Akzeptanz, als auch für die Skills-Erprobung. Dazu gehören das achtsame Wahrnehmen und der Umgang mit den eigenen Gefühlen und Anspannungen, das Verbessern zwischenmenschlicher Regularien und der Aufbau echten Selbstwertgefühls. Stetiges Üben und die Entwicklung von Kontinuität sind Voraussetzungen, um mit DBT erfolgreich Veränderungen einleiten zu können. In der therapeutischen Begleitung geht es darum, ein Verständnis für die Psychodynamik persönlicher Schwierigkeiten herzustellen,  Selbstverständnis versus Selbstbestrafung zu unterstützen und immer wieder an Eigenverantwortung versus Opferverhalten der Betroffenen zu appellieren. Wie bei jedem ausgeprägten Leidensdruck ist auch der Ungeduld zu begegnen. Doch versiegende Motivation kann in einer Trainings begleitenden Therapie verstärkt werden, denn es lohnt sich für jeden am Ball zu bleiben!

 

 

Achtsamkeit  und  Akzeptanz

 

DBT enthält kognitive und meditative Elemente: "Marsha Linehan schöpfte aus ihrer kontemplativen Erfahrung und integrierte Übungen zur Achtsamkeit als eine von vier Modulen in das Fertigkeitstraining der DBT. Hatten diese Übungen in der frühen Phase der DBT nur eine marginale Rolle gespielt, so rückte die Achtsamkeit im Laufe der letzten Jahre zunehmend ins Zentrum der DBT und stellt heute ihr [...] philosophisches Rückgrat dar,"  heißt es in Interaktives Skillstraining von M. Bohus und M. Wolf-Arehult (S.76). Der Zen-Buddhismus stellt hier übrigens die spirituellen Wurzeln für eine Achtsamkeits-Praxis bereit. Geübt wird täglich zwischen 10 bis 30 Minuten, eine erste Wirkung können Achtsamkeits-Übungen in der Regel jedoch erst nach sechs bis acht Wochen entfalten.

 

Wahrnehmungen nicht zu bewerten, das ist der Kern der Achtsamkeit-Disziplin! "Akzeptanz meint die bedingungslose Annahme des Augenblicks ohne Erwartung oder Bewertung in seinem Sosein - mit all seinen Facetten. Schmerz ist Schmerz und sonst nichts. Leid entsteht im Bewertungsprozess, im Nicht-annehmen des Augenblicks, in der Konstruktion eines Gegenentwurfes", heißt es bei Bohus und Wolf-Arehult im Therapeutenmanual (S.75). Mit "Konstruktion des Gegenentwurfes" ist Kontrollverhalten gemeint oder der übliche Kampf innerer Zerrissenheit, die das Leiden so verschlimmern. Dazu gehören auch alle (z.B. eine Sucht) aufrechterhaltenden Gedanken. Sie loszulassen, wie Wolken vorbeiziehen zu lassen, das ist auch ein spiritueller Akt. Die Achtsamkeits-Praxis des ursprünglichen Zen Buddhismus ist absolut nicht-intentional, hier geht es ausschließlich um die Aufmerksamkeit und Akzeptanz des gegenwärtigen Augenblickes und nicht um Bewusstseinserweiterung oder das Ziel von Erleichterung. Auch im DBT wird Achtsamkeit nicht-intentional geübt. Dennoch entfaltet sich in didaktischer Verbindung mit Skills- und Selbstmanagement-Praktiken des DBT eine zunehmende Frustrationstoleranz für unabänderliche Gegebenheiten im Leben. Sie wird zur Basis von Selbstwirksamkeit.

 

 

Die  Sinne  und  Co.

 

Sinnlichkeit spielt im DBT eine entscheidende Rolle, denn die Sinne werden als körperliche Ressourcen bewusst eingesetzt. Sowohl mit der Wahrnehmung ins Innere, als auch mit der nach Außen wird achtsam experimentiert. Dadurch verfeinert sich nicht nur das Unterscheidungsvermögen zwischen Innen- und Außenräumen, das aufgrund traumatischer Erfahrungen gestört sein kann. Auf diese Weise können Abgrenzungsfähigkeiten optimiert werden. Durch die Einbeziehung aller Sinne im Skills-Aufbau kann der Bezug zum Körper verbessert werden, er spielt so keine untergeordnete und zu bekämpfende Größe mehr. "Beruhigung über die Sinne" sind sehr einfache und doch hochspezifische Skills. Mit dem Einsatz einer solchen Sinnlichkeit können sich, ähnlich wie mit Hypnose, innere Räume für Ruhe und Wahrnehmung öffnen, die der sonst einsetzenden Einengung durch Angst erfolgreich entgegenwirken. Auf diesem Weg kann aus dem einst "invalidierten" Körper eine integrale Basis für Selbstwirksamkeit werden, was ganz besonders bei Essstörungen eine bedeutsame Rolle spielt. Bei der Übung "Bereitschaft aufbauen zur Veränderung von ... "  handelt es sich auch um eine sogenannte paradoxe Übung, wie sie in der Suchttherapie üblich sind. Sie setzen dort an, wo sich Kontrolle den Willensabsichten der Betroffenen normalerweise entzieht. Doch statt der üblichen Ohnmacht kann sich mit solchen Übungen Offenheit und Flexibilität einstellen, die eine deutlich bessere Ausgangsposition für konstruktive Lösungsansätze und angemessene Reaktionen bieten. Mit DBT können unüberwindbar scheinende Blockaden ihr Wesen verändern - Selbstakzeptanz und wertvoll Sein wird erfahrbar. Man kann dies spirituell betrachten, wenn man möchte, muss es aber nicht. Die Betroffenen müssen eine Menge dafür tun, erleben ihre Persönlichkeitsveränderung aber dennoch häufig als Wunder, ... oder als Geschenk. Gerne begleite ich Sie auf einem solchen Weg.

 

 

 

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